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Wie schon gesagt: Meine Liebe zu den Maramures hat viele Ursachen. Das Fundament für diese Zuneigung wurde im Jahr 2011 gelegt, als ich erstmals mit dem Motorrad in diesem Lande unterwegs war.
Da wäre das Thema "Gastlichkeit": Hier stehen dem Reisenden fast alle Türen offen, man muss nur um Einlass bitten - und manchmal nicht einmal das.
Hierzu eine kleine Geschichte, die mir und meinen Freunden 2011 passiert ist: Wir waren off-road unterwegs in der Region Baile Borsa (von Viseu de Sus nach Borsa, in Borsa am Supermarkt dann links ab). Der Tag war lang, wir hatten schon rund 60, vielleicht auch 70 Kilometer auf Schotterpisten hinter uns, als uns eine Flußdurchfahrt vor bislang nicht geahnte Herausforderungen stellte. Ungefähr 100 Meter von dieser Furt entfernt stand einsam und verlassen eine kleine Bauernkate. Wir standen also an dieser Furt und beratschlagten, wie wir am besten und sichersten diesen Fluss durchqueren könnten. Der Schweiß floss, die Temperatur lag deutlich über 30 Grad C. Während wir schwitzend in der gleißenden Sonne standen, kam plötzlich die Bäuerin aus dem kleinen Bauernhaus zu uns, erzählte uns irgendwas, schlurfte wieder zurück in ihr Haus und brachte uns - ungefragt selbstverständlich - etwas zu essen und zu trinken. Wir waren tief beeindruckt.
Und dann war da noch die Geschichte mit dem Trinkspruch. Wir standen einmal in einem kleinen Getränkeladen mit Thekenbetrieb, als sich zwei rumänische Biertrinker neben uns zuprosteten und der wunderschöne und lebensbejahende Spruch erschallte: "Trink a bisserl, schad ja nix." Unvermittelt auf rudimentär vorhandene Restbestände deutschen Sprachgutes zu stoßen, erfüllte uns mit einer gewissen Freude. Mehr als diese wenigen Worte deutsch konnte man den Biertrinkern jedoch nicht abringen. Woher also dieser Spruch? Einige, typisch zipserische Idiome werden noch manchmal, zur Verwunderung der Touristen, von einheimischen Rumänen verwendet. Gern benutzt, und in fröhlicher Erinnerung geblieben, ist der Trinkspruch: "Trink a bisserl, schad ja nix!"
In diesem Sinne: Norok (bitte nicht "Prost" ... heißt auf Rumänisch "dumm" oder "blöd") ...
2 Wenn ich über Gastfreundschaft spreche, so komme ich nicht umhin, das Gästehaus im Weintal, fünf Kilometer vor Viesu de Sus, zu erwähnen: Das Gästehaus bietet dem off-road-orientierten Motorradfahrer ein Basiscamp in strategisch hervorragender Lage: Rund um Viseu de Sus findet sich ein Schotterstraßenparadies erster Güte. Insbesondere in Richtung Norden, also in Richtung Ukraine, verliert sich das Asphaltband immer häufiger zugusten mehr oder weniger gut ausgebauter Schotterpisten. 3 Apropos Ukraine: Im Jahr 2011 kamen wir auf die goldige Idee, die Nähe zur Ukraine zu einem Abstecher nach Rakhiv (Ukraine) zu nutzen. Hier befindet sich der geodätische Mittelpunkt Europas. Die Fahrt über den Grenzübergang bei Shigetu Marmatiei in die Ukraine wird mir dauerhaft in Erinnerung bleiben: Kurz nach dem Grenzübertritt sind wir von korrupten Polizeibeamten wegen einer verkehrsrechtlichen Nichtigkeit "ausgeraubt" worden. Die anfänglich ausgesprochene Strafe von 50 Euro pro Person konnte ich durch nervtötendes Verhandeln auf 15 Euro nach unten korrigieren. Heute würde ich sagen: Ein Abstecher in die Ukraine kommt für mich wegen der Unplanbarkeit des Verhaltens der korrukten Staatsbedienstetn nicht mehr in Frage. Korruption mir oder meinen mitreisenden Freunden gegenüber habe ich in Rumänien noch nie erlebt.
4 Übrigens: Eine Tagestour von Viseu de Sus entfernt befinden sich die Moldauklöster. Hier kann ich das Kloster von Moldovita sehr empfehlen, welches über Asphalt, aber auch über 80 bis 90 Kilometer lange Schotterpisten zu erreichen ist. Das Kloster Moldovita wurde 1532 erbaut. Die Kirche ist mit Wehrtürmen und Mauern umgeben. Die Innen- und Außenwände der Kirche wurden 1537 mit Wandmalereien versehen. Bedeutend ist unter anderem eine Darstellung der Belagerung Konstantinopels an der Südfassade. Beeindruckend ist auch die gesamte Klosteranlage, die mit hohen Mauern umfriedet ist und auf mich bei meinem ersten Besuch wie eine Insel der Ruhe und Spiritualität wirkte.
| 5 Um die Themen Bäume, Holz und Wald dreht sich in den Maramures fast alles. So wundert es kaum, dass in einem Land, in der Zeit still zu stehen scheint, auch eine Eisenbahn ihr Gnadenbrot frisst, die es so in Europa kein zweites Mal gibt. Es ist die Rede von der Wassertalbahn in Viseu de Sus. Es ist die letzte regulär betriebene Waldbahn unseres Kontinents. Bis Ende 2006 wurden die Züge der Waldbahn regulär von Dampflokomotiven gezogen, inzwischen kommen jedoch hauptsächlich Diesellokomotiven zum Einsatz. Dem Schweizer Verein „Hilfe für die Wassertalbahn“ ist es jedoch gelungen, eine Fortführung des Dampfbetriebs sicherzustellen – wenn auch primär für touristische Zwecke. 6 Das Leben der Menschen in diesem landschaftlich sehr reizvollen Teil Rumäniens ist spürbar anders, als zum Beispiel im südlichen Transsilvanien, Sibiu oder Brasov. Dort herrscht geschäftiges, nahezu westeuropäisch anmutende Betriebsamkeit ... in den Maramures gehen die Uhren anders. Oftmals sieht man noch den Bauern, wie er mit seinem Pferd vor dem Pflug Furchen über den Acker zieht. Wer Entschleunigung sucht, ist hier gut aufgehoben. Aufgefallen bei meinen Besuchen in den Maramures ist mir zudem etwas, was mich sehr nachdenklich gestimmt hat: Ich habe einige (ich möchte sagen: überproportional viele) Männer mit abgetrennten Gliedmaßen gesehen. Dies mag eine zufällige Anhäufig gewesen sein. Dies mag aber auch mit den Arbeitsbedingungen in der Holzwirtschaft zusammenhängen: Ich war mehrfach Augenzeuge, wie Männer mit schweren Kettensägen Bäume fällten. Schutzkleidung? Fehlanzeige! Blanker Oberkörper, Shorts und Turnschuhe ...
7 Das karge Leben der "einfachen Menschen" in den Maramures durfte ich dann im Jahr 2016 persönlich erleben. Der diesbezüglich entstandene kleine Reisebericht findet man auf der Seite "Maramures 2016".
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