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1 Im März 2016 war es endlich wieder soweit: Es ging - diesmal mit zwei Reisepartnern, denen ich ein wenig von Rumänien zeigen wollte - von Dortmund nach Hermannstadt. Freunde besuchen, gut essen und trinken, die Seele ein wenig baumeln lassen. Am Freitag gegen Mittag setzte unser Flieger sanft auf das Rollfeld des überschaubaren Flughafens Sibiu auf und wenige Minuten später stand mein Freund Dietrich, Pastor und Dekan der evangelischen Kirchengemeinde (ganz nebenbei ein begnadeter Enduro-Fahrer) vor dem Airport, um uns abzuholen. Nachdem das Handgepäck in den Zimmern verstaut war, machten wir uns zunächst auf in Richtung Hermannstadt. Ein kleiner Stadtbummel und am Abend der Besuch des Stammtisches der Motorradfreunde "CRAZY OLD DUCKS" rundeten einen schönen Tag ab.
2 Am Samstag ging´s dann auf nach Schäßburg / Sighisoara. Diese Stadt hat nach meiner Wahrnehmung noch ein wenig mehr klischeehaftes Rumänien zu bieten, als dies bei Hermannstadt oder Kronstadt der Fall ist. Was mich erstaunt, ist das Auseinanderklaffen von gefühlter und tatsächlicher Größe dieser Stadt: Aufgrund der urbanen Struktur gewinnt man den Eindruck einer kleineren Großstadt, tatsächlich wohnen in Schäßburg aber "nur" rund 28.000 Menschen.
3 Schäßburg wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von deutschen Einwanderern (Siebenbürger Sachsen) erbaut. Im Bereich der mittelalterlich angehauchten Innenstadt ist der Stillstand der Zeit förmlich zu spüren. Der Stundturm scheint dabei aus jeder Mauerritze Geschichte zu atmen: Trutzig, wehrhaft, morbide ... so würde ich dieses Bauwerk beschreiben, das es bis hin zum UNESCO-Weltkulturerbe geschafft hat. Dieser Befestigungsturm wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtet und diente bis zum Jahr 1656 auch als Sitz des Stadtrates. 4 Vlad III Draculea (Vlad Tepes, die literarische Gestalt "Dracula" von Bram Stoker) wurde vermutlich in Schäßburg geboren und soll dort zwischen 1431 und 1436 gelebt haben. Transsilvanien und Schäßburg auf Dracula zu reduzieren, ist einer der größten Fehler der Menschen, die Land und Leute nicht kennen. Ich habe nur an sehr vereinzelten Stellen in Transsilvanien Konterfeis von Vlad Tepes (Dracula) oder sonstige Bezüge zu dieser Person gefunden: Schäßburg und Törzburg (Bran) fallen mir da ein. Ansonsten geht dieses Thema den Menschen eher auf den Nerv. Deshalb war es auch wohl nicht verwunderlich, dass sich in den Jahren um 2002 erheblicher Widerstand regte, als die Absicht laut wurde, einen Dracula-Freizeitpark in Schäßburg zu errichten.
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5 Sonntag, der Tag der Tage: Wir hatten uns mächtig auf diesen Tag gefreut, denn es sollte mit der Seilbahn rauf auf den Transfagarasan zur Eiskirche und zum Eishotel gehen. Wir hatten die Rechnung allerdings ohne den rumänischen Wettergott gemacht, denn dieser blies die Backen und entfachte einen Sturm, der die Benutzung der Gondel zu einem lebensgefährlichen Unterfangen gemacht hätte. Die Vernunft siegte und der Gondoliere sagte jedweden Transfer mit der Seilbahn für diesen Tag ab. Die Enttäuschung bei mir war vermutlich größer als die bei meinen beiden mitgereisten Freunden, aber die folgenden Stunden sollten uns reichlich entschädigen: Aus der Not geboren sind wir dann nach einem kleinen Zwischenstopp am Kloster Kerz in den "Siebenbürgischen Krautwinkel" aufgebrochen. Hierunter versteht man die Region um Agnethen, ein lieblicher, von sanften Hügeln durchsetzter Landstrich. Bei frühlingshaften 17 Grad sind wir langsam, Land und Leute förmlich in uns aufsaugend, durch eine hoch interessante Kulturlandschaft gefahren.
6 Wie fast überall sind auch im Krautwinkel die Überlandstraßen gut ausgebaut. Weil uns aber der Sinn nach "Rumänien pur" stand, sind wir eingetaucht in die abseitigen, ländlichen Strukturen - dort, wo die Straßen nur noch nach Wegen aussehen. Schafe, Schäfer und Pferdefuhrwerke kreuzten unseren Weg häufiger, als wir dies erwartet haben. Meine rudimentären rumänischen Sprachkenntnisse konnte ich sowohl beim Plausch mit einem Schäfer über die Gefahren von Wolf- und Bärenangriffen, als auch beim Small-Talk mit einem rumänischen Leiterwagenpiloten unter Beweis stellen. Letztgenannter bot mir dann gegen ein kleines Entgelt von 10 Lei (für seine vermutlich sechs Kinder, letzter Stand) eine Mitreise auf seiner klapprigen Kutsche an. Ich fühlte mich geehrt und konnte nicht nein sagen, obschon der Kutschenfahrer allem Anschein nach seiner Mineralwasserflasche kein Wasser entnahm. Eine bleibende Erinnerung ...
7 Der siebenbürgische Krautwinkel zeugt von einer ehemals blühenden deutschen Siedlungskultur: Kleine Ansiedlungen, denen heute vielfach der Verfall droht, wechseln sich ab mit pittoresk anmutenden, malerischen kleinen Dörfern, die oftmals von einer trutzigen Wehrkirche / Kirchenburg geprägt sind. Mit Farbe geizen die Rumänen wahrlich nicht, so dass sich die Fassaden der noch bewohnten Häuser in einer bunten, nicht immer geschmackssicheren Vielfalt präsentieren. Überaus anmutend wirken diese städtebaulichen Zeugnisse einer seit 25 Jahren vergangenen Kultur insbesondere dann, wenn sich im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Fogarascher Gebirges (Teil der Südkarpaten) am Horizont abzeichnen. Nachdenklich stimmen mich allerdings die mitunter verlassen wirkenden traurigen Reste ehemals vermutlich lebendiger Dörfer. Besonders beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang Gürtlen (Gherdeal), ein lt. Landkarte "Sackgassendorf", also ein Dorf, zu dem nur eine Straße hinein führt, von dem es allerdings nicht weiter geht. Wobei ... streng genommen ist die Bezeichnung "Straße" ebenso irreführend, wie der Titel "Dorf". Schaut man genau hin, sind einige Häuser tatsächlich noch bewohnt und ganz am Ende, kurz vor dem Nichts, findet sich zu meinem maßlosen Erstaunen ein prachtvoll restauriertes Anwesen in leuchtend weißem Putz. Wie man mir sagte, lebt hier ein in die Heimat zurückgekehrter Sachse, der versucht, dem Dorf wieder Leben einzuhauchen. Ich drücke ihm die Daumen ...
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